Gesundheit der Hunza

Die Hunza – ein Volk ohne Krankheit?

Die Hunza (oder Hunzukuc) sind ein asiatisches Volk, welches im vergangenen Jahrhundert für seine überdurchschnittlich gute Gesundheit weltweite Bekanntheit erlangte. In diesem Beitrag werfen wir einen Blick auf historische Berichte über die Hunza und wie viel Wahrheit in den Mythen über sie steckt.

Viele widersprüchliche Informationen

Die Hunza leben auf etwa 7000 Metern Höhe in einem Tal im Norden des umstrittenen Kaschmirs zwischen Pakistan, Indien, Afghanistan und China. Bis 1878 lebten sie komplett isoliert und ohne europäischen Kontakt. Ab 1891 wurde das Gebiet als „Gilgit Agency“ Teil von Britisch-Indien. Doch erst seit 1978 ist das Tal durch den Bau der Karakoram-Autobahn zwischen Pakistan und China Touristen zugänglich. Es handelt sich bei den Hunza übrigens um jenes Volk, welches der Arzt Robert McCarrison in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts als die gesündesten Menschen in Indien ermittelt hatte!

Wer nun mehr über die Hunza und ihre Lebensweise erfahren möchte, stößt auf viele widersprüchliche Informationen. Mal heißt es, sie wurden steinalt und kannten keine Krankheiten. Woanders berichten Reisende, dass dies nicht stimme und die Gesundheit der Hunza ebenso schlecht sei wie bei anderen armen Völkern. Schauen wir uns also mal an, wer zu welchem Zeitpunkt was geschrieben hat und wie uns dieses Wissen helfen kann, der Wahrheit etwas näher zu kommen.

„Langlebig und frei von Krankheiten“ – was Berichte vor 1920 über die Hunza erzählen

Schomberg

Einer der ausführlichsten Berichte über die exzellente Gesundheit der Hunza stammt vom Oberst R. Schomberg, der acht Jahre lang regelmäßig in der Gilgit Agency unterwegs war und seine Beobachtungen 1905 in „Between the Oxus and the Indus“ zusammenfasste. Er war dabei nicht nur mit den Hunza, sondern auch mit deren Nachbarvölkern, den Nagiri, Ghiziri, Punyal, Yasinis und Ishkomani in Kontakt. In faszinierte dabei die Verschiedenheit dieser unter fast identischen Umweltbedingungen lebenden Menschen.

Während er die Hunza als gesund, stark, schön, fleißig und humorvoll bezeichnet, und auch die Punyal lobt, ist er schockiert über Ghiziri und Ishkomani. Die Ghiziri seien faul und achten weder auf den Zustand ihrer Häuser, noch auf ihre Nutztiere oder Wintervorräte. Um so ausgeprägter sei bei ihnen die jährliche Hungersnot im Frühling. Als ähnlich unterentwickelt sieht er die Ishkomanis, direkte Nachbarn der Hunza, die er als klein und mangelernährt beschreibt. Besser seinen die Nagiri, doch auch sie sollen eher nachlässig in Hygiene und Feldbewirtschaftung gewesen sein.

McCarrison

Robert McCarrison, der etwa zwischen 1910-1920 sieben Jahre lang für die ärztliche Betreuung der Hunza zuständig war, war ebenfalls schwer beeindruckt. Er habe in dieser Zeit nur Unfälle, Augenleiden und sonstige kleine Leiden behandeln müssen – aber nie eine ernsthafte Krankheit. Die Augenleiden, insbesondere grauer Star und Lid-Entzündungen, schob er auf die schlecht belüfteten Häuser, aus denen im Winter der Rauch nicht richtig abzog und die Augen reizte.

„Während meiner Zeit mit diesen Menschen“, sagte er 1921, „habe ich nie einen Fall von Dyspepsie, Magen- oder Zwölffingerdarmgeschwüren, Blinddarmentzündung, Schleimhautentzündung, Krebs … gesehen. Unter diesen Menschen war eine durch Emotionen, Müdigkeit oder Kälte hervorgerufene Überempfindlichkeit des Bauches unbekannt. Lediglich das Gefühl des Hungers gab es. Eine solche Bauchgesundheit stand nach meiner Rückkehr in den Westen in bemerkenswertem Kontrast zu den Magen- und Darmleiden unserer hochzivilisierten Gesellschaften.“

Unabhängig voneinander berichten auch weitere europäische Reisende Ähnliches und vergleichen verschiedene Aspekte der Hunza mit ihren Nachbarvölkern.

„Mangelernährt und unhygienisch“ – Beobachtungen ab 1950

Clarks

Nur wenige Jahrzehnte später sehen die Berichte über die Hunza bereits ganz anders aus. Der amerikanische Geologe John Clark erzählt 1956 in „Hunza. Lost Kingdom of the Himalayas“ von seinem 20-monatigen Aufenthalt bei dem zu jenem Zeitpunkt noch relativ isoliert lebenden Volk. Während dieser Zeit war er auch für die ärztliche Versorgung der Hunza zuständig.

Neben Augenleiden, die er ebenfalls auf die vom Kochfeuer verrauchten Häuser schiebt, berichtet er über Malaria, Magenprobleme, Ruhr, Bronchitis und Nebenhöhlenentzündungen. Er beobachtet eine hohe Mutter- und Kindersterblichkeit sowie einen unhygienischen Zustand der Nahrung (Sand, Tierhaare und Mist in Mehl und Butter.) Er beschreibt die Folgen der Überbevölkerung mit Mangelernährung und überweideten Weiden.

Clark bezeichnet die Hunza als unterentwickelt, da Erfindungen wie die des Pfluges oder von Schornsteinen noch nicht erfolgten. Statt friedliches Zusammenleben, wie in älteren Berichten erzählt wird, beobachtet er Diebstahl und fehlendes Vertrauen untereinander. Am Ende seines Aufenthaltes leidet auch er unter gesundheitlichen Problemen und kommt zu der Erkenntnis, dass die Langlebigkeit und Stärke der Hunza ein Mythos sei.

v. Unruh

Ebenfalls in den 1960ern reiste die deutsche Ärztin Irene von Unruh 1954 in das Hunza-Tal und beschrieb ihre Reise 1955 in „Traumland Hunza“. Sie hatte von der ausgezeichneten Gesundheit der Hunza gehört – dem Volk ohne Krankheiten – und wollte ihre Ernährung erforschen. Doch auch sie wurde ernüchtert und hatte täglich Patienten zu behandeln – von wegen, keine Krankheiten! Sie beschreibt vor allem Augen- und Lungenleiden, verursacht durch den Aufenthalt in verrauchten Häusern, und Magenleiden durch verschmutztes Wasser sowie durch zu viel rohes Obst im Sommer. Unfälle, Lungenentzüngungen oder Darminfekte schienen die häufigsten Todesursachen zu sein.

Doch v. Unruh ist nicht ganz so pessimistisch wie Clarks. Würden die Hunza unter hygienischeren Bedingungen leben, wäre ihre Gesundheit tatsächlich überdurchschnittlich gut, schlussfolgert sie. Die Ärztin ist beeindruckt, dass es keine Zivilisationskrankheiten wie Krebs gibt. Außerdem lobt sie die Zahngesundheit der Hunza. Obwohl Zahnfleischmassage mit den Fingern und Wasserspülungen die einzigen Pflegemaßnahmen sind, sind die Zähne kräftig und nur selten von Karies befallen. Sie schiebt die gute Zahngesundheit unter anderem auf das tägliche Essen von Vollkorn-Fladenbroten sowie viel frischem und getrocknetem Obst.

V. Unruh sah die Hunza also trotz Ernüchterung weiterhin als gesundheitliches Vorbild für die Deutschen. Dennoch zeigt auch ihr Bericht, dass sich der Gesundheitszustand des Volkes verschlechtert haben muss. Denn während McCarrison die Abwesenheit von Magenproblemen beeindruckte, schienen sie nun 30-40 Jahre später bereits zum Alltag zu gehören.

Was war passiert?

Ein exponentieller Bevölkerungsanstieg

Eine grobe Schätzung von Major Biddulph schätzte die Hunza 1880 in „Tribes of the Hindookoosh“ auf etwa 6000 Menschen. 30 Jahre später wurde die Bevölkerung 1911 auf 10.100 Menschen ermittelt. 1972 war die Bevölkerung bereits auf 26.500 Menschen angestiegen (vgl. Kreutzmann 1996).

David Lorimer, der als Lieutenant und Linguist zusammen mit seiner Frau Emily Lorimer 1920-1924 die Sprache der Hunza erforschte, besuchte das Volk erneut 1933/1934. Beim zweiten Besuch erschienen Lorimer die Hunza bereits nicht mehr so stark wie zuvor. Während der jährlichen Hungersperiode im Frühling waren die Kinder mangelernährt und hatten verschiedene Hauterkrankungen. Durch den Bevölkerungsanstieg reichte die Nahrung, die in dem Tal produziert werden konnte, nicht mehr aus.
Während McCarrison 1921 noch berichtet, dass bei den Hunza etwa alle zehn Tage Fleisch gegessen wurde, so war dies in den 1960ern laut Clark und v. Unruh nur noch wenige Male im Jahr.

Einfluss der Briten

Wrench schreibt 1938 in „The Wheel of Health“, dass bei den meisten zuvor isolierten asiatischen Völker auf Kontakt mit dem Westen ein Bevölkerungsanstieg folgte und dies logischerweise auch bei den Hunza so war. Den Zusammenhang erklärt er leider nicht.

Es ist zu vermuten, dass die Bevölkerung vor britischem Kontakt streng durch das lokale Oberhaupt, bei den Hunza dem „Mir“, reguliert wurde. Möglicherweise gab es eine Art Geburtenbeschränkung. Beispielsweise beschreibt Wrench, dass Hunza-Kinder noch zu Beginn des letzten Jahrhunderst ganze drei Jahre lang gestillt wurden und die Mütter während dieser Zeit nicht schwanger werden durften. 1956 galt diese Regel laut Clark nur noch für 1,5 Jahre. Was war passiert, dass die Bevölkerung der Hunza nach Jahrtausende langer Isolierung plötzlich so stark angestiegen war?

Anzumerken ist, dass der Bevölkerungsanstieg bereits zu einer Zeit stattfand, in der das von Bergen umgebe Tal immer noch nicht frei zugänglich war. Nahrungsmittelimporte waren also bis etwa in die 1960er nicht möglich, sodass das Volk weiterhin auf Selbstversorgung angewiesen war. Wie sonst also konnte der Kontakt mit dem Westen zu einem Bevölkerungsanstieg geführt haben?

Meine Recherche hat ergeben, dass die Briten den Hunza neues Land in der Umgebung anboten, was dem damaligen Herrscher der Hunza wohl nicht recht war. Außerdem schufen sie erste Einkommensmöglichkeiten in einem Reich ohne Geld (vgl. Sökefeld 1997). Es ist also vorstellbar, dass mit Aussicht auf mehr Land und mehr Reichtum die Geburtenkontrolle nicht mehr so Ernst genommen wurde.

Vertreibung aus dem Paradies durch Überbevölkerung?

Die gängige Meinung zur Gesundheit und Langebigkeit der Hunza ist inzwischen, dass dies nur ein Mythos sei. Es wird angenommen, dass die Verfasser der frühen Berichte das Volk nicht gut genug kannten und aufgrund weniger Einzelfälle idealisierten. Den jüngeren Berichten ab 1950 wird dementsprechend mehr Glauben geschenkt.

Aber kann es nicht auch sein, dass alle Berichte Recht haben? Denn der zeitliche Verlauf und der exponentielle Bevölkerungsanstieg liefern eine gute Erklärung dafür, wie es in einem überdurchschnittlich gesunden Volk mit der Zeit zu Mangelernährung kommen konnte.

In jedem Fall beeindruckt die Freiheit von chronischen Krankheiten, die von zwei Ärzten in unterschiedlichen Jahrzehnten bestätigt wurde. Mit der Öffnung und Industrialisierung des Hunza-Tals hat sich dies inzwischen bestimmt geändert. Über die Lebensweise der historischen Hunza lohnt es sich jedoch auf jeden Fall, mehr zu lernen!

Was interessiert euch mehr: Die Ernährung der historischen Hunza und was wir uns davon abschauen können? Oder Bevölkerungskontrolle bei isolierten, vorindustriellen Völkern? Das sind nämlich die Themen der nächsten Beiträge – und ihr könnt entscheiden, welcher zuerst kommt – sagt es mir in den Kommentaren!

[Nachtrag] Ergebnis: Im nächsten Beitrag geht es um Bevölkerungskontrolle bei isolierten, vorindustriellen Völkern! Ein Artikel über die Ernährung der historischen Hunza und was wir uns davon abschauen können ist in Planung.

Quellen & Weiterführendes

Dokumentation „Search of Paradise“, Hunza 1957 (hohe Aufnahmequalität): https://www.youtube.com/watch?v=SRHywnX7C5o

Documentary OF HUNZA NAGAR of 1954, aufgenommen von einer amerikanischen Expeditionsgruppe (niedrige Aufnahmequalität): https://www.youtube.com/watch?v=lQnlZkF5so4

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7 Kommentare

  1. Marvin says:

    Hallo! 🙂

    Ich bin besonders am Thema „Bevölkerungskontrolle bei isolierten, vorindustriellen Völkern“ interessiert. Ich habe bis jetzt immer nur gelesen, dass Wissenschaft, Forschung, Technik und Industrialisierung so viele Menschheits-Probleme gelöst hat, und wir sind an einem Punkt angelangt, an dem die Ansicht verbreitet wird, dass die Menschheit dabei ist, in eine Art technologisches goldenes Zeitalter überzugehen, in dem der Mensch selbst zu einem Automaten wird, der mit der Stadt, die ebenfalls zum Automaten umgebaut werden soll, verschmilzt. Stichwörter „Transhumanismus“ und „Smarte, vernetzte Städte“. Es wird überhaupt nicht mehr in Frage gestellt, dass es umgekehrt sein könnte, dass der Mensch durch seine Problemlösungen mehr und mehr Probleme schafft. Wahrscheinlich wäre der umgekehrte Weg, also zurück zur Natur, bzw. zum Lebensstil der isolierten, vorindustriellen Völker, der bessere Weg.

    1. Hallo Marvin, ja, wahrscheinlich ist es so – leider!
      Alles klar, das Thema scheint auch andere Leser mehr zu interessieren. Hoffentlich in einer Woche gibt es dann den Beitrag dazu 🙂

  2. […] – das bringen viele Menschen mit der vorindustriellen Zeit in Verbindung. Im Beitrag über die Hunza haben wir jedoch festgestellt, welch negative Auswirkungen Bevölkerungswachstum auf eine […]

  3. […] wird zum Frühlingsfest Nouruz traditionell ein süßer Pudding aus Weizenkeimlingen gekocht. Die Hunza backten ein süßes Brot mit gekeimtem Getreide. Und auch hier in Europa haben wir uns in Form von […]

  4. […] Hunza kannten übrigens ein Brot mit Zugabe von Getreidekeimlingen, doch auch dieses bestand zum […]

  5. Mirû says:

    Danke auch für diesen Blog-Artikel!

    Es hat sich wohl ein kleiner Fehler eingeschlichen:
    „Ebenfalls in den 1960ern reiste die deutsche Ärztin Irene von Unruh 1954 in das Hunza-Tal und beschreibt ihre Reise 1955 in „Traumland Hunza“.“
    — Es muss wohl „1950ern“ heißen (wobei die Information angesichts der Nennung der Jahreszahl „1954“ redundant ist). Und „beschrieb“ oder „hat (…) beschrieben“ statt „beschreibt“. 😉 (Die Tempusänderung ist hier falsch, v.a. weil es ein und derselbe (Haupt-)Satz ist und weil es danach wieder in Vergangenheitsform weitergeht: „Doch auch sie wurde ernüchtert“.) Die Stelle hat mich erst mal grübeln lassen, ob ich nur zu blöd bin, den Grund dafür/ die Absicht davon, dass der Satz so abgefasst ist, wie er ist, – also eine bestimmte Bedeutung – zu erkennen. Aber dem ist wohl nicht so.

    1. Verwirrender Weise gibt es bei der Angabe von Zeiträumen unterschiedliche Bezugssysteme. Ich habe es im Studium so gelernt, dass 1960er Jahre = 1950-1959 (so wie das 19. Jahrhundert die Zeit von 1800-1899 beschreibt) – sich also auf den Zeitraum bezieht, der sich gerade füllt. In der Alltagssprache wird es aber oft anders gemacht.
      Den anderen Fehler habe ich korrigiert bzw. ergänzt, warum sie ernüchtert war (- weil die Hunza nicht so super gesund waren, wie sie erwartet hatte und sie als Ärztin in Anspruch nehmen mussten).

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