Kandiszucker

Zucker und traditionelle Süßungsmittel – Eine Übersicht (Teil 1)

Zucker ist eines der kontroversesten Themen in der Diskussion um gesunde Ernährung und ständig wechselnde Zucker-Moden sorgen für große Verwirrung. Wechseln wir nun also die Perspektive und betrachten das Thema mal aus einer historischen Sicht. In diesem ersten Teil erzähle ich euch die kaum bekannte Geschichte des Rübenzuckers und beschreibe traditionelle Süßungsmittel. In einem zweiten Teil werde ich auf die Rolle des Süßen in der traditionellen Ernährung eingehen sowie auf historische Forschungen zur Schädlichkeit des Zuckers.

Wie traditionell ist weißer Rüben-Zucker?

Der weiße Zucker, den wir in Deutschland sehr günstig in jedem Supermarkt kaufen können, wird aus unseren heimischen Zuckerrüben hergestellt. Kann etwas, das aus einem regionalen Naturprodukt besteht denn wirklich so schädlich sein, wie es allgemein heißt? Haben nicht bereits unsere Ur-Großeltern raue Mengen an Zucker in Marmeladen in Kuchen verarbeitet – ein traditionelles Lebensmittel also? Der Anschein trügt. Tatsächlich müssen wir zum historischen Verständnis von Zucker noch ein wenig weiter in die Vergangenheit zurück gehen.

Seit dem Mittelalter gab es in Mitteleuropa für die Reichen importierten Rohrzucker. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts experimentierte der Chemiker Andreas Sigismund Marggraf dann erstmals an der Herstellung von Zucker aus heimischen Pflanzen. Er entdeckte, dass sich aus roter Beete, Zuckerwurzel und Runkelrübe ein weißes „Salz“ herstellen ließ, welches sich vom echten Zucker kaum unterschied. Marggrafs Schüler Franz Karl Achard griff Ende des 18. Jahrhunderts diese Versuche auf und züchtete innerhalb von 20 Jahren den Zuckergehalt der Runkelrübe von 8% auf 16%. Die Geburt der Zuckerrübe, die inzwischen einen Zuckergehalt von 18-20% aufweist.

In einem komplexen industriellen Verfahren wird Zuckerrübensirup erst gewaschen und zentrifugiert, dann in Wasser gelöst, entfärbt und abschließend kristallisiert. Die so entstandene Raffinade ist fast reine Saccharose. Weißer Zucker ist somit ein komplett isolierter Stoff, der fast nichts mehr mit seinem Ausgangsprodukt, der Zuckerrübe, zu tun hat. Ähnlich isoliert ist übrigens das moderne Xylith. Es ist zwar an sich ein in Lebensmitteln natürlich vorkommender Süßstoff, hinter dem schönen Begriff „Birkenzucker“ verbirgt sich jedoch ein hoch verarbeiteter, chemisch isolierter Stoff.

Traditionelle Süßungsmittel

Zuckerrüben-Sirup

Früher wurde von Bauern aus Zuckerrüben ein Sirup gekocht und als Brotaufstrich, zum Kochen oder zum Backen von Pumpernickeln benutzt. Erst kürzlich erzählte mir eine alte Frau von ihren Kindheitserinnerungen und der Zubereitung dieser Melasse. Dafür wurden Zuckerrüben gewaschen, geschält und in Streifen geschnitten. Sie wurden mit etwas Wasser in einen Topf gegeben und weich gekocht. Dann entnahm man die Zuckerrübenstücke und presste sie mithilfe eines Stofftuchs oder -beutels aus. Den so entstandenen Saft kochte man dann unter ständigem Umrühren dickflüssig ein oder ließ ihn bis zur gewünschten Dicke im Backofen köcheln.

Zuckerrüben-Sirup ist also an sich ein natürlich hergestelltes, mineralstoffreiches Lebensmittel mit Tradition. Wir wissen nun aber auch, dass es die Zuckerrübe in ihrer jetzigen Form erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit gibt. Es ist somit Ansichtssache, ob man Zuckerrüben-Sirup zu den traditionellen Süßungsmitteln zählt oder nicht.

Kandis-Zucker

Als Kandis bezeichnet man Zuckerkristalle, deren Herstellung den Arabern bereits im 9. Jahrhundert bekannt war. Früher wurde Kandis sogar von Ärzten als Heilmittel angewendet. Traditionell entstanden die Zuckerkristalle, wenn gefilterter („geläuterter“), leicht eingekochter Zuckersaft in ein mit Fäden durchzogenes, verzinntes Kupfergefäß gegossen und kalt gestellt wurde. An Fäden und Topfwand bildeten sich Zuckerkristalle, die nach 8-10 Tagen gedarrt (=getrocknet) wurden. Abschließend zog man sie durch Kalkwasser, trocknete sie erneut und brachte sie in den Handel (vgl. Krünitz 1789).

Der Kandis, den wir heutzutage kaufen können, wird allerdings industriell und aus einer Industriezucker-Lösung hergestellt. Der Prozess ist also noch ähnlich dem historischen, nicht jedoch das Ausgangsprodukt. Es ist also anzunehmen, dass moderner Kandis-Zucker nicht gesünder ist, als raffinierter Industriezucker.

Jaggery / Vollrohrzucker / Kokosblütenzucker

Wer in Indien durch die Straßen läuft findet an vielen Ecken Händler, die frisch gepressten Zuckerrohr-Saft verkaufen. Dafür wird das gereinigte und geschnittene Zuckerrohr mehrmals durch Walzen gepresst. Traditionell wurde dieser Saft in einem weiteren Schritt gefiltert und zu Sirup eingekocht. Die so entstandene Melasse verfestigt sich nach dem Abkühlen und wird in Indien „Jaggery“ genannt. Jaggery gilt als nährstoffreich und findet sogar im Ayurveda Anwendung – ist also ein traditionelles, naturbelassenes Produkt. In Lateinamerika nennt es sich Panela oder Rapadura, in Japan Kokuto.

Der intensiv braune Vollrohrzucker ist tatsächlich nichts anderes, als gemahlenes Jaggery! Nicht zu verwechseln mit mit dem hellbraunen Rohrohrzucker – dieser ist raffiniert und somit nicht gesünder als weißer Rübenzucker.

Ähnlich wie Zuckerrohrsaft wird auch Palmensaft oder Kokosblütennektar als Süßungsmittel zubereitet – die gemahlene Melasse von Letzterem ist der in Mode gekommene Kokosblütenzucker. Er ist also ebenfalls ein traditionelles Süßungsmittel.

Jaggery hat laut Studien zahlreiche gesundheitliche Vorteile. Dank einem hohen Gehalt an Antioxidantien soll der Konsum von Jaggery Lungenbeschwerden, Vergiftungen und DNA-Schäden durch Strahlung vorbeugen. Weitere Studien belegen eine Karies vorbeugende Wirkung durch den hohen Gehalt an Phosphat und die Hemmung karies-auslösender Bakterien sowie eine Vorbeugung von Anämie durch Bildung von Hämoglobin (vgl. Jaffé 2012). Letztere beiden Eigenschaften sind jedoch umstritten.

Honig

Honig ist für mich eines der faszinierendsten Lebensmittel. Ist es nicht ein Wunder der Natur, wie so kleine Tierchen aus wunderschönen Blüten die Süße extrahieren und zu einem so wertvollen Produkt umwandeln?
Der Honig wilder oder kultivierter Bienen wird bereits seit vielen Jahrtausenden vom Menschen gesammelt. Er war im alten Europa das wohl wichtigste Süßungsmittel, mit Wachs als nützlichem Nebenprodukt. Gewürzte Honigkuchen, also eine Art Lebkuchen soll es bereits seit mehr als 2000 Jahren geben – unter anderem im alten Ägypten oder Rom. Noch älter ist die Herstellung von Honigwein, der in vielen verschiedenen Kulturen nachweisbar ist.

Zum Sammeln des Honigs wilder Bienen gab es in Europa seit dem Frühmittelalter den Beruf des „Zeidlers“. Dieser schuf in alten Bäumen künstliche Höhlen und verschloss sie mit einem Brett mit Flugöffnung. Dann bevölkerte er es entweder selbst mit einem Volk, oder wartete, bis sich ein Schwarm einnistete. Doch auch Hausbienenhaltung ist bereits seit langem bekannt.

Honig galt zu allen Zeiten als Heilmittel und manchmal sogar als Elixier der Götter. Auch heute noch wird er zur Heilung von Hautkrankheiten oder Allergien eingesetzt. Wichtig ist darauf zu achten, dass es sich um einen hochwertigen (regionalen) Honig handelt. Denn günstiger Honig kann mit Zucker gestreckt sein!

Obst, Trockenfrüchte und Früchte-Sirup

Früchte sind von Natur aus zuckerhaltig und waren deshalb früher ein wichtiges Süßungsmittel. Frisch verarbeitet, dick zu einem Sirup eingekocht oder getrocknet bzw. gedörrt. Im antike Rom war als Hauptsüßungsmittel ein eingekochter Traubensaft beliebt. In Mitteleuropa wurden vor allem Zwetschgen, Pflaumen und Birnen zum Süßen genutzt. Die heute wieder in Mode gekommene Apfelsüße ist tatsächlich nichts anderes, als dick eingekochter Apfelsaft! Auch Datteln verarbeitete man im Orient traditionell zu Sirup, oder mahlt ihn neuerdings zu einer Art Zucker. In der Türkei wird noch heute Sirup aus Maulbeeren, Trauben und Feigen hergestellt.

Sirup von anderen Bäumen

Ahornsirup ist ein traditionelles Süßungsmittel der nordamerikanischen Indianer. Im Frühling, wenn es tagsüber schon wärmer ist, nachts aber noch frieren kann, transportieren Bäume in den Wurzeln gespeicherte Nährstoffe in die Knospen. Zu dieser Zeit wurden ältere Bäume an einer Stelle angebohrt und der herausrinnende Saft aufgefangen. Dieser Saft wurde dann ganz früher mithilfe von Kochsteinen, später auf einem Feuer zum Ahornsirup eingekocht. Ahornsirup in Bio-Qualität ist zwar nicht regional, gehört aber dennoch weiterhin zu den naturbelassenen Süßungsmitteln mit Tradition. Vorsicht vor billigem Ahornsirup: dieser könnte mit Zuckerwasser gestreckt sein!

Johannisbrot-Sirup (auf Türkisch „keçiboynuzu pekmezi“) wird aus den Früchten des Johannisbrotbaumes, auch Karob-Baum genannt, hergestellt. Die Johannisbrot-Schote gehört zu den Hülsenfrüchten und gilt als sehr nährstoffreich. Zur Ernte der dunkelbraunen Schoten schlägt man in der Türkei im September mit Stöcken gegen die Bäume. Sie sind zu Beginn noch frisch und weich, werden jedoch getrocknet gelagert und zu Sirup verarbeitet. Dafür zerkleinert man die Schoten fein mit einem Hammer auf Stein und gibt sie mit der doppelten Menge Wasser in einen Topf. Man kocht die Mischung kurz auf, lässt sie mindestens über Nacht ruhen, seiht sie durch ein Käsetuch und presst die Schoten gut aus. Anschließend wird der abgeseihte Saft mehrere Stunden unter ständigem Rühren geköchelt, bis eine dickliche Melasse entsteht.

Eine weitere Verwendung der Johannisbrot-Schoten ist übrigens das wieder in Mode gekommene Carob-Pulver, wofür geröstetes Fruchtfleisch vermahlen wird. Es ist ein gesunder Ersatz für Kakao-Pulver. Die Pflanzung von Johannisbrot-Bäumen hat zudem viele ökologische Vorteile. Traditionell wurden die Schoten außerdem als Tierfutter verwendet und sollen in diesem Kontext sogar in der Bibel erwähnt worden sein.

Süße aus Getreide

Reissirup ist eines der ältesten Süßungsmittel und wird in Asien seit Jahrtausenden aus Vollkornreis hergestellt. Die Konsistenz erinnert an Honig, er ist allerdings weniger süß. Traditionell wird für die Herstellung von Reissirup gekochter Reis zusammen mit Wasser und Malz an einem warmen Ort einen Tag lang fermentiert. Anschließend presst man die Masse vorsichtig durch ein Tuch. Die so entstandene Flüssigkeit wird dann zu einem dicken Sirup eingekocht.

Auch gekeimtes Getreide schmeckt süßlich. In Zentralasien und im Iran wird zum Frühlingsfest Nouruz traditionell ein süßer Pudding aus Weizenkeimlingen gekocht. Die Hunza backten ein süßes Brot mit gekeimtem Getreide. Und auch hier in Europa haben wir uns in Form von Malz die Süße des gekeimten Getreides traditionell zu Nutze gemacht. Malz ist nämlich nichts anderes als gekeimtes und anschließend getrocknetes Getreide! Keimlinge als Süßungsmittel ist ein sehr interessantes und komplexes Thema, zu dem ich ein anderes Mal mehr schreiben möchte.

Weitere Pflanzen: Süßholz und Stevia

Stevia ist eine blättrige Pflanze, die eine lange Tradition südamerikanischen Indianern hat. Als frische oder getrocknete Pflanze ist sie ein natürliches Süßungsmittel. Das in Deutschland verkaufte Stevia-Extrakt ist jedoch ein chemisch isoliertes Pulver – also ein stark verarbeitetes Lebensmittel.

Süßholz kennen wir heutzutage nur noch aus Teemischungen oder aus der Lakritz. Dabei war es in Deutschland seit dem Mittelalter ein preiswertes Süßungs- und Heilmittel. Bis zur Verdrängung des Rübenzuckers im 19. Jahrhundert stellte es in Bamberg einen wichtigen Wirtschaftsfaktor dar.

Übersicht der Süßungsmittel: naturbelassen vs. künstlich

PflanzeNaturbelassenIndustriell
ZuckerrübeZuckerrüben-Sirupweißer Rübenzucker, konventioneller Kandiszucker
BirkeXylith
BlütenHonig (hochwertig), KokosblütenzuckerHonig (minderwertig, mit Zucker gestreckt)
ZuckerrohrJaggery / Vollrohrzucker / traditioneller KandiszuckerRohrohrzucker
ObstTrockenobst, Sirup (hochwertig) – z.B. Apfelsüße, DattelzuckerSirup (minderwertig, mit Zucker und Aromen gestreckt)
AhornAhornsirup (hochwertig)Ahornsirup (minderwertig, mit Zucker gestreckt)
Steviafrische oder getrocknete Blätterisoliertes Pulver
SüßholzSüßholz-Pulver, Süßholz-Stangen, Lakritz (traditionell)Lakritz (industriell)
Johannisbrotbaum / Karob-BaumJohannisbrot-Sirup („keçiboynuzu pekmezi“)
GetreideReissirup, Malz (= getrocknete Getreidekeimlinge)

Und jetzt?

Diese Übersicht kann uns helfen, natürliche von industriell verarbeiteten Süßungsmitteln zu unterscheiden – und letztere in unserer Ernährung zu meiden. Auch wenn traditionellem Sirup durch das lange Kochen Vitamine fehlen, beinhaltet er im vergleich zu raffinierten Produkten immer noch wertvolle Mineralstoffe.

Im nächsten Schritt ist es sinnvoll, importierte Lebensmittel zu reduzieren und regionale Süßungsmittel zu bevorzugen. Weitere interessante Informationen und Tipps gibt es bald in Teil 2. Darin wird es unter anderem um die Rolle des Süßen in der traditionellen Ernährung gehen sowie um historische Forschungen zur Schädlichkeit des Zuckers. Außerdem gibt es Tipps für einen gesunden Umgang mit Süßem im modernen Alltag!

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Quellen

– Alnatura: Rohrohrzucker – worin unterscheiden sich Vollrohrzucker und Rohrohrzucker?
– Handschuh, Gerhard: Die Geschichte des Bamberger Süßholzanbaus, Bamberg 1988.
– Jaffé, Walter (2012): Health Effects of Non-Centrifugal Sugar (NCS): A Review, in: Sugar Technology 14, S.87-94.
– Krünitz, Johann (1789): Oeconomische Encyclopädie, oder allgemeines System der Staats-, Stadt-, Haus- und Landschaft in alphabetischer Ordnung, Band 242, Berlin.
– Moynihan, Paula (2000): Foods and factors that protect against dental caries, in: Nutrition Bulletin 24 (4), S.281-286.
– Olivares, Manuel et al. (2007): Iron absorption from wheat flour: effects of lemonade and chamomile infusion, in: Nutrition 23 (4).
– Osborn, T. et al. (1937): A comparison of crude and refined sugar and cereals in their ability to produce in vitro decalcification of teeth.
– Wikipedia: Ahornsirup, Andreas Sigismund Marggraf, Franz Carl Achard, Jaggery, Raffination
– YouTube: Keçiboynuzu (Harnup) Pekmezi Nasıl Yapılır? Evde Şekersiz Keçi Boynuzu Pekmezi Yapılışı.
– Youtube: Sweet Rice Sirup
– Bild von Th G auf Pixabay

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