Traditionelles Leben in einem Rhöner Bauernhaus – So sah Anna Marias Alltag vor 200 Jahren aus

In Deutschland gibt es viele verschiedene Arten von traditionellen Bauernhäusern, die entweder liebevoll renoviert wurden, oder aber noch auf die richtigen Besitzer warten. Gemeinsam ist diesen Häusern, dass sie nicht nur zu einem einzigartigen Ortsbild beitragen, sondern auch, dass sie sich perfekt für die Umsetzung der Traditionellen Ernährung bzw. Selbstversorgung eignen. Bei dem folgenden Artikel handelt es sich um einen Gastbeitrag von Martin Eisenmann. Er nimmt uns mit in die Vergangenheit seines Rhöner Bauernhauses aus dem Jahre 1810, weches im Dorf unter dem Hausnamen „Neukerte“ bekannt ist. In diesem Essay begleiten wir Hausherrin Anna Maria bei ihrem Alltag vor 200 Jahren. Die erwähnten Personen gab es übrigens wirklich und beschriebenen Details sind durch Chronik oder Erzählungen der Alten im Dorf belegt 🙂

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So sieht das über 200 Jahre alte Haus nach der liebevollen Sanierung durch Anna Marias Nachfahren aus!

„Kehren Sie, liebe Leserinnen und Leser, mit mir in das Jahr 1822 zurück ins sog. Neukerte-Haus, das zwölf Jahre zuvor fertiggestellt worden war. Es war für die damalige Zeit ein modernes Wohn- und Wirtschaftshaus – ein fränkisches Ern-Haus. Fast jedes Haus im besagten Rhön-Dorf war ähnlich aufgebaut. Der vordere Bereich war unterkellert – ein Gewölbekeller, der sich allerdings komplett über der Erde befand und zur Lagerung von Lebensmitteln genutzt wurde. Auf der hauszugewandten Seite wurden die Kartoffeln gelagert. Im Haus-Ern befand sich ein Schacht, über den die Kartoffeln direkt in den Keller geschüttet werden konnten. Als Ern bezeichnete man einen Flur, der direkt an die Küche abgeschlossen war – es gab keine Trennung der beiden Räume.

Auf der anderen Seite des Kellers stand ein Krautstein – ein eingebauter Sandstein-Trog, in dem Krautköpfe für Sauerkraut eingelegt wurden. Darüber waren zwei drei Meter lange Stangen befestigt, auf denen das selbst gebackene Brot aufgereiht werden konnte. Nur alle drei Wochen wurde frisch gebacken und so kam es vor, dass die letzten Brotlaibe bereits Schimmel angesetzt hatten. Vor dem Essen wurde der Schimmel abgebürstet und der Laib aufgebacken. Essen sollte man es auch dann, wenn das frische Brot schon danebenstand. Ganz frisches Brot durfte nicht gegessen werde, denn es hieß, dass es zu Magenschmerzen führe und weniger satt mache.

Im Gewölbekeller wurden außerdem Karotten, Meerrettich, Kohlrabi, Wirsing und Rotkraut gelagert. Auch Schwarzwurzeln, Pastinaken und Petersilienwurzeln waren damals im Land weit verbreitet – in unserem Rhön-Dorf jedoch nicht. Töpfe mit Schweineschmalz und eingesalzenem Schweinefleisch standen ebenfalls im Keller. Wenn Hausherrin Anna Maria am Samstag das Sauerkraut aus dem Keller holte und die steile Treppe zur Küche hinaufstieg, kam sie am Kellerloch vorbei. Das war eine in der Wand eingelassene Vertiefung, in der ein Topf mit gekochtem Essen kühl gestellt werden konnte.

Da es sehr beschwerlich war, das Sauerkraut aus dem Krautstein zu holen, wurden meist mehrere Köpfe entnommen. Im Neukerte-Haus wurden diese mit der Nachbarin geteilt. Sie war die Schwester der Hausfrau, Schwager Hans und ihr Mann Johann waren ebenfalls Brüder. Nachdem die Klappe im Küchenboden verschlossen war, konnte es an das Zubereiten gehen.

Es wurde meist im Tontopf gekocht. Töpfe und Geschirr gehörten zu den wenigen Gebrauchsgegenständen, die 1822 nicht in unserem Rhön-Dorf hergestellt wurden. Der Herd bestand aus aufgestellten Sandsteinplatten. In einer Platte waren ein Herz mit Krone, das Hochzeitsjahr und die Initialen des Brautpaars gemeißelt. Die Herdplatte bestand aus gebranntem Ziegelstein. In diesen befanden sich Löcher, in die Töpfe und Pfannen gestellt wurden.

In der Decke über dem Herd befand sich ein großer offener Rauchfang. Er wird als Deutscher Kamin bezeichnet, kommt aber nirgends mehr vor. Ledgilich in Freilandmuseen sind noch solche Feuerstellen zu sehen. Schon 1822 waren solche Kamine veraltet. Sie konnten aber vollständig mit Materialien, die in unserem Rhön-Dorf vorkamen, gebaut werden. In ihm wurden das Fleisch und die Würste geräuchert und dadurch haltbar gemacht. An Wochentagen waren die im Küchenherd erzeugte Wärme und die Körperwärme des Viehs im Stall die einzige Heizung im Wohnstallhaus. Als Feuerholz wurden überwiegend Hecken und Äste genommen, die sich gut mit dem Beil teilen ließen und sowieso kaum höherwertige Verwendung fanden.

Wenn Anna Maria das Kraut zu ihrer Schwester ins Nachbarhaus bringen wollte, kam sie von der Küche in den Ern. Dies war eigentlich der gleiche Raum. Zur linken Hand gab es eine Tür zur Stube. Hier werkelte ihr Mann Johann. Alle Bewohner unseres Dorfes gingen neben der Landwirtschaft noch einem Handwerk nach. Dies wurde oft in den Wintermonaten in ihrem „Wohnzimmer“ verrichtet. So wurden z.B. Schuhe aus Holz, seltener aus Leder, gefertigt. Andernorts gab es einen Webstuhl, auf dem der Flachs zu Leinentüchern verarbeitet wurde. Es wurden auch Körbe aus Weidenruten geflochten oder Wolle gesponnen. Johann ging eine eher ungewöhnliche Beschäftigung nach. Er war Uhrmacher und baute die erste Kirchturmuhr des Dorfes.

An den Außenwänden des Hauses gab es je zwei Fenster. In der Ecke befand sich ein kleiner Hausaltar – der sog. Herrgottswinkel mit einem Kreuz. An den zwei Fensterseiten stand jeweils eine eingebaute Bank, gegenüber ein Ofen. An einer Wand im Zimmer befand sich in der Mitte eine Tür, die in die Kammer führte. Dort befanden sich das Eltern- sowie ein Kinderbett, in dem die beiden jüngsten Kinder schliefen. In den Betten lagen Matratzen aus Stroh, worauf leinene Säcke, gefüllt mit Spreu, lagen.

Das ist die Hülle um das Getreide, auch Spelzen genannt. Hiervon stammt der Spruch, die Spreu vom Weizen trennen. Im Herbst nach der Getreideernte wurde stets der Inhalt erneuert. Das Stroh war zudem Futter, ebenso Baustoff. Die Spreu aus dem Bett wurde neben Laub noch einmal als Einstreu für das Vieh verwendet. Schließlich befand sich in einer Truhe im Haus der spärliche Reichtum der jeweiligen Familie.

Bevor die Hausherrin das Haus verließ, wurde noch einmal im Stall nach dem Rechten gesehen. Rechts unter der Treppe befand sich die Tür zum Stall. In diesem standen acht Kühe, ein paar Hühner und zwei Schweine. Ein extra Schweinestall war schon beim Bau des Hauses mit eingeplant worden. In ihm sollte auch Platz für einen Wagen und für das Laub zur Einstreu vorhanden sein. Die Ausführung ließ aber noch auf sich warten. Die Hühner liefen im Winter gerne zwischen den Kühen herum und pikten alles auf, was dem Hühnerschnabel schmeckte. Eine Toilette besaß das Ern-Haus noch nicht. Die Notdurft konnte auf dem Misthaufen verrichtet werden. Anna Maria wusch sich ihre Hände mit dem Wasser aus dem Eimer, der für das Tränken der Tiere gedacht war und trocknete sie an der Schürze ab. Den Rest des Wassers schüttete sie in den Barren (= Trog). In den Wintermonaten konnte auch Schnee genommen werden. Er musste nur in Eimer gefüllt und aufgetaut werden. Außerdem wurden noch die Reste aus der Küche, einschließlich des Wassers vom Geschirrspülen zum Viehtränken verwendet.

Jetzt musste die Hausfrau noch einmal die Stiege hinaufsteigen, die sich rechts der Eingangstür befand. Oben ging sie in den „Oberen Boden“, der genau über dem Stall lag. Er war luftig und perfekt zum Aufbewahren getrockneter Vorräte. Hier holte sie noch eine Hand voll Erbsen für den Erbsenbrei, der zum Kraut gegessen wurde. Es wurden gerne Vorräte getauscht, weil nicht alles von jedem angebaut wurde oder weil schon einige Vorräte aufgebraucht waren.

Vieles, was für den Winter erzeugt wurde, lagerte hier auf dem Dachboden: Bohnen, Erbsen, Linsen, Graupen, gemahlenes Mehl und Salz. Zucker war damals noch nicht massentauglich. Dafür gab es Trockenobst wie getrocknete Birnen, „Hutzeln“ genannt. An den Balken hingen zudem Kräuter, Würste und Schinken. Auch Werkzeug, Holzeimer, Körbe und anders Handwerkzeug hatte hier seinen Platz. Links der Tür führte eine Stiege hinauf zum Dachboden. Dort lagerte das Getreide (Roggen, Gerste und Hafer). Im vorangegangenen Jahr hatte Johann für das Fertigen der Kirchturmuhr sogar zwei Sack Weizen als Entlohnung erhalten. Weizen wurde von den Eheleuten im rauhen Klima der Rhön nämlich nicht angebaut.

Insgesamt hatte Johann eher weniger Interesse am Landbau. Uhren waren seine Leidenschaft. Dadurch war immer auch etwas Geld im Haus, so dass die Vorräte gut aufgestockt werden konnten. Die Arbeit im Haus jedoch war vor allem Aufgabe der Ehefrau Anna Maria. Sie schüttete sich eine Hand voll Erbsen in ihre Schürze und ging in das Zimmer gegenüber – mehr Zimmer gab es nicht im Haus. Dort schliefen die älteren Kinder.

Beim Verlassen des Hauses, erinnerte sie Johann noch einmal in ihrem Dialekt: „Hans, du wolltest doch noch das Korn zum Müller bringen. Jetzt, wo so wenig Wasser im Mühlwasser ist, dauert es immer, bis das Mehl fertig ist!“ Mit der Holzschüssel mit dem Kraut unterm Arm, mit der andere Hand die Schürze hochhaltend und die Türe öffnend, verließ sie das Haus.“

Aus Lehm, Holz und Stein gefertigt bieten alte Bauernhäuser Schutz vor sommerlicher Hitze und winterlicher Kälte.

Ich danke dem Gastautor für das schöne Essay! Wie hat euch diese Zeitreise ins Rhöner Bauernhaus vor 200 Jahren gefallen? Es gibt auf dieser Webseite übrigens einen ähnlichen Beitrag über ein Bauernhaus in Russland, schaut mal hier!

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2 Kommentare

  1. Vielen Dank für diese schöne anschauliche Beschreibung des Lebens von damals! Man kann sich richtig gut hineinversetzen. Am liebsten würde ich mal einen Tag lang so leben. Manchmal sehnt man sich ja nach einem einfachen Leben wie damals, aber bei dem Misthaufen als Toilette bin ich dann doch froh über manche neuzeitliche Errungenschaften. 😉
    Viele Grüße Nadine

    1. Vielen Dank für den netten Kommentar, Nadine! Freut mich, dass dir der Artikel gefällt – ich gebe das Kompliment dem Autoren weiter!

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